Meinungsfreiheit.
Meinungsfreiheit ist ein Menschenrecht, und lernt jedes Kind. Meinungsfreiheit wird in Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen garantiert, in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in Artikel 5 des deutschen Grundgesetzes, Artikel 16 der eidgenössischen Bundesverfassung, Artikel 13 des österreichischen Staatsgrundgesetzes und so ziemlich jeden anderen Landes, was auch nur so tun möchte, als wäre es eine Demokratie.
Die wenigsten Leute machen sich Gedanken darüber, warum Meinungsfreiheit wichtig ist. Ich denke, es reicht auch, wenn man annimmt, dass Meinungsfreiheit deswegen wichtig ist, weil sich eine Gesellschaft recht leicht darauf einigen kann, dass es besser ist, wenn man miteinander redet, als wenn man sich gegenseitig die Köpfe einschlägt. Und sich jeder (vernünftige) Mensch eine Meinung bildet und Gedanken hat.
Nachdem man also die Gedanken eh nicht wegbekommt, ist es eine gute Idee, die Leute ihre Gedanken auch äußern zu lassen – man kann schließlich über alles Reden und seine Meinung auch ändern, so als (per definitionem) vernunftbegabter Mensch. Nunja, in einigen Fällen natürlich nicht. Freie Meinungsäußerung kann nämlich sehr gefährlich sein. Denn durch “miteinander reden” können sich Gruppen bilden – Gruppen , die sich eine Meinung teilen. Eine Einzelperson kann man ignorieren, aber eine Gruppe von Menschen ist mächtiger als einzelne Menschen und kann sich als solche gegen andere Gruppen von Menschen besser behaupten.
Das mag vorteilhaft für diejenigen sein, die sich die Meinung teilen, gefällt aber dafür anderen nicht. Insofern wird sich in jeder Gesellschaft eine Tendenz derjenigen, die die Macht haben, bilden, um Meinungen, die ihnen nicht passen, zu verbieten, damit sich keine Gruppen bilden, die ihrer Macht gefährlich sein können.
Deswegen hat es Jahrtausende gedauert, bis diejenigen mit Macht verstanden haben, dass das Verbieten nicht funktioniert. Weswegen wir ja die x-zig Rechte haben, die uns Meinungsfreiheit erlauben. Als könnte man die verbieten – Pah!
Die ersten Gesellschaften mit formal freier Meinungsäußerung waren Sokrates’ Athen und das römische Reich. Da hatte natürlich nicht jeder Idiot Meinungsfreiheit, aber diejenigen, die was zu sagen haben. Der Rest durfte gepflegt die Klappe halten.
Taten sie aber nicht, die haben einfach eine Revolution gemacht. Oder eine Sezession. Oder die Bastille gestürmt. Oder gesoffen. Auf jeden Fall durfte man danach seine Meinung äußern – endlich.
Ja, und dann hatten wir, langsam aber sicher, die moderne “Demokratie”. In der nicht nur nicht jeder Idiot Meinungsfreiheit, sondern auch noch was zu sagen hatte. Freie Wahlen und so. Und alle waren sich einig, dass jeder sagen darf, was er sagen will. Und das taten auch alle. Einige mit großer Zustimmung.
Das führte zu etwas, was die Menschheit bis dahin nicht kannte: Einem Weltkrieg. Gut, kannte sie schon, aber zumindest einigte man sich nach diesem darauf, dass bestimmte Meinungen nicht so frei sein sollten. International etwas inkonsequent, aber so im Groben. Wie jedes Kind (noch vor dem Recht auf freie Meinungsäußerung) lernt, hat Hitler mehrere Millionen Juden gekillt. Das ist eine Tatsache, das darf man natürlich überall sagen. Dem zu widersprechen, wird je nach politischer Situation unterschiedlich gehandhabt.
Das ist jetzt zwar nicht sonderlich kohärent, aber es gibt eben bestimmte gesellschaftlich Standards, auf die sich die Gesellschaft einigt. Amerika hält das Recht auf freie Meinungsäußerung sehr hoch, was ich persönlich sehr gut finde.
Auch, wenn ich dem, was dann gesagt wird, inhaltlich nicht zustimme.
Nun ist aber das Recht der freien Meinungsäußerung ein Recht, das der Staat seinen Bürgern gegenüber dem Staat garantiert (oder, in bestimmten Fällen, eben auch nicht). Der Staat darf die freie Meinungsäußerung nicht zensieren. Weil der Staat Macht hat.
Der Staat ist aber nichts, was Meinung bildet, sondern das sind – seit Staaten größer sind als die maximale Menge an Menschen, die den König noch hören, wenn er laut redet – die Kommunikationsmedien. Luther nutzte den Buchdruck für eine Revolution gegen die katholische Kirche, die französischen Revolutionäre druckten Flugblätter, Hitler gab jedem ein Radio, die CIA reinstallierte den iranischen Schah übers Fernsehen und stürzte Gaddafi über Twitter (oder so).
Diejenigen mit Macht haben also ein Interesse daran, Meinungen zu kontrollieren, und machen das auch. Überall. Wir befinden uns im Jahre 2015 n. Chr. Alle Medien sind von den Machthabern kontrolliert… alle Medien? Nein! Eine von unbeugsamen Bloggern bevölkerte Ecke des Internets hört nicht auf, Widerstand zu leisten.
Manchmal, natürlich. Denn die Blogger, die noch so kleinen wie die ganz großen mit Hunderttausenden von Unique visits (etwa wie die Zeitung Die Welt), haben natürlich auch eine eigene Meinung. Und mögen anderer Leute Meinung mehr oder weniger, je nachdem, wie sehr sie mit ihrer eigenen übereinstimmt. Und Blogs kann man kommentieren.
Nun ist Propaganda schwieriger, wenn Widerspruch die gleiche Leserschaft bekommt wie die Propaganda, deswegen filtert man Kommentare. Wie man ja auch bestimmte Meinungen verbietet, wenn man Macht hat und Probleme mit konträren Meinungen hat.
Das mögen die Kommentatoren mit abweichenden Meinungen nicht, sie nennen das Zensur. Als wären die Blogger der Staat. Pah! Sind sie nicht, wie uns Randall Munroe erklärt:
Und Randall Munroe hat da schon einen wichtigen Punkt: Natürlich ist das Blog des Bloggers das Blog des Bloggers, und der muss niemanden in sein Wohnzimmer lassen, den er da nicht haben möchte. Hadmut Danisch sieht das ähnlich und differenziert da noch die deutsche Rechtslage dazu. Andere Blogger finden das Mist und weisen auf double Standards hin – also, dass widerliche Meinungen in Abhängigkeit vom Sprecher oder den Betroffenen unterschiedlich behandelt werden.
In Deutschland ist es zum Beispiel verboten (ein Wort mit moralischem Unterton, dessen korrekte Übersetzung ins Englische übrigens verboten ist), zum Massenmord an Juden aufzurufen. Öffentlich zu fordern, 90% aller Männer zu töten, ist hingegen nicht verboten.
Warum? Nun, ich habe keine Ahnung. Weil es noch niemand probiert hat? Ich halte das für beliebig. Ich weiß nichtmal, ob die obige Abbildung vielleicht auch verboten ist, aber ich halte es für wichtig, sich auch mit totalitären Ideologien satirisch Auseinandersetzen zu dürfen. Ob die nun gerade verboten sind oder Parteiprogramm.
Ich möchte hier betonen, dass es mir um die Beliebigkeit von Verboten geht. Und sie eh nichts helfen – dann hostet man seinen rechtsradikalen Müll halt in den USA , der Türkei oder irgendeinem asiatischen Land (absichtlich kein Link). Oder seinen linksradikalen Dreck in Australien. Feministische Scheiße darf man in Deutschland hosten. Bei Antifeministischer Scheiße ist das durchaus mal “jugendgefährdend” (auch hierzu absichtlich kein Link). Das sind aber staatliche Verbote, staatliche Zensur.
Es geht aber vielen vor allem darum, dass es keine Zensur ist, wenn Blogger bestimmte Kommentare nicht erlauben/freischalten. Und da haben Randall Munroe wie Hadmut Danisch Recht: Das ist keine Zensur. Es ist ihr Blog, und ich muss mir nicht von Zigeunern in meinen Garten kacken lassen, insofern muss ich mir auch nicht von Leuten, deren Scheiß ich nicht hören will, in meinen Blog kacken lassen.
Das Problem ist, dass das “Zensurproblem” nicht nur kleine (oder große) private Blogs, sondern auch Unternehmen betrifft. Facebook schränkt die freie Meinungsäußerung ein. Twitter muss da dringend was tun – denk doch mal einer an die Kinder!!! Und das ist natürlich keine Zensur, weil es ja Unternehmen machen. Übrigens auch Apple. Aber hey, das sind ja nur Unternehmen. Keine Leute mit Macht. Auch wenn, natürlich, Apple mehr Umsatz macht als Länder wie Vietnam oder Ungarn als Bruttoinlandsprodukt haben. Sollten wir dann vielleicht doch Apple kritisieren, wenn wir gerade Premier Orban kritisieren?
Auf Basis welchen “Rechts”? Double Standards, also “he, ich bin klein, das ist mein Wohnzimmer, aber Dein Wohnzimmer ist größer, deswegen darfst Du das nicht”? Sehr interessantes Konzept von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.
Wie oben erwähnt ist es aber keine Zensur, wenn es die Meinungsäußerer respektive Meinungsäußerungsermöglicher freiwillig machen; “Selbstzensur” ist rein logisch Blödsinn; Zensur hat etwas mit Macht und Zwang von “oben” zu tun.
Ich schlage daher vor, einen neuen Begriff einzuführen: Editur. Die gängige Praxis in (auch liberalen) Blogs ist es, vermeintliche “Verfehlungen” um eben diese zu kürzen. Eigenes Beispiel, weil ich eine vormals fette Frau auf Nadjas eher freiem Blog als Blauwal (oder so) bezeichnet habe:
Natürlich ist es nicht nett, fette Frauen als Blauwal, Seekuh oder Nilpferd zu betiteln. Blauwale, Seekühe und Nilpferde können ja schließlich nichts dafür, dass ihre Körper sich evolutionär so entwickelt haben, dass Unmengen von Fett irgendeinen Vorteil haben. Aber die Blogbetreiberin stört sowas eigentlich nicht. Und die Angesprochene antwortete “DANKESCHÖÖÖÖNN”. Das kann es also nicht gewesen sein. Es ist daher naheliegend, das sich jemand anderes angesprochen gefühlt hat, irgendwer die “Zensur” gefordert hat.
Irgendeiner hat also eine Meinung über Seekühe und Fatshaming, und irgendwer mit Macht entscheidet sich zwischen den Unterlingen gegen Fatshaming. Nicht, dass es falsch wäre, Partei zu ergreifen, aber es ist Editur, wenn die kritisierte Meinung nicht mehr und die kritische Meinung gar nicht dasteht. Das ist jetzt so, Du hast nicht mehr die Gelegenheit, Dir eine eigene Meinung zu bilden. Dafür gibt es eh die Bild-Zeitung.
Erfreulicherweise gilt für die Editur in Blogs das Gleiche wie für die Zensur größerer Mächte: Man kann Meinungen nicht unterdrücken. Das von mir geschriebene “hey, Glückwunsch, Du siehst als Mensch viel besser aus als als Wal” wird nicht positiver für Wale, wenn man stattdessen behauptet, dass “Wal” ein *ismus ist. Oder *shaming. Davon differenziert die Aussage nämlich immer noch zwischen Walen und Menschen, was die (kritisierenden) Wale aber offenbar nicht stört, womit sie meine Polemik als Realität sehen – was dumm ist. Das ist das Problem, was einige Leute mit der Realität haben.
tl;dr: Zensur ist das Resultat der Angst der Mächtigen vor Machtverlust. “Selbstzensur” – hier konkret: Editur – ist das Resultat der Angst der Pseudo-Mächtigen vor den Mächtigen. Die Geschichte zeigt, dass es vollkommen berechtigt ist, dass die Mächtigen Angst haben, da sie Macht haben – und mit großer Macht kommt große Verantwortung, Spiderman. Das ist der Kernpunkt der Demokratie: Dass die Mächtigen sich nicht darauf verlassen können, immer mächtig zu bleiben. Sondern dass sie, weil sie mächtig sind, selbst Angst vor ihrer (persönlichen) Verantwortung haben müssen.
Zeitungen sterben; Stichwort Lügenpresse. Dem Fernsehen hat noch nie jemand geglaubt. Die Blogger mit Publikum, bei denen jeder noch was sagen darf, sind die einzigen, die bei jungem Publikum seriös dastehen (egal, was sie für einen Blödsinn erzählen). Macht also nicht den selben Scheiß wie die Mächtigen. Dass das keine Zensur ist, ist egal. Editur ist – wie Zensur – nutzlos und führt zumindest 100%ig zuverlässig nicht dazu, was ihr wollt. Wenn ihr denn was anderes als den Status Quo wollt.
Und: Nein, Editur kann kein persönlicher Ausdruck von Anstand und Moral sein. Anstand und Moral sind nämlich immer das, was Mainstream ist, und die Mitte des Flusses fließt bergab. Wenn ihr Blogs schreibt, um was “Mainstreamiges” zu kritisieren, aber dann alles in den Mainstream werft, könnt Ihr Euch das auch sparen. Denn es geht eh den Bach runter. Weil: Schwerkraft. Physik. Realität.
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