Deutschsein für Anfänger

Aktuelle Coronavirus-Fälle: 240, +53%. Widmen wir uns also wichtigeren Themen: Rassismus.

Ich sitze auf dem Küchenstuhl und hatte eine große Portion Rassismus zum Frühstück.

Oh wie theatralisch. *Skip*.

Ich wohne in einem Plattenbau, etwas außerhalb von Köln.

Das tut mir leid für Dich, Ali. Beides.

Dabei ist es wichtig zu erwähnen, dass ich 1,85 Meter groß und braun bin. Eigentlich mag ich meinen Bart und meine lockigen Haare, aber sie markieren mich als fremd. Als den Araber, den dreckigen Kanaken.

Ich weiß jetzt gar nicht, wo ich anfangen soll – der Teasertext verspricht was von “Deutschtürken”. Türken sind keine Araber – probiert das ruhig selber aus, das ist eine hervorragende Möglichkeit, Türken aggressiv zu machen. Und “Kanaken” – äh – sind das nicht eher Jugoslawen, die halt keine Zigeuner sind? Nein? Mein falscher Sprachgebrauch? Ich meine ja nur – da war ein großer Teil Österreich-Ungarn, das sind ethnisch-historisch ziemlich “deutsche”, aber wir müssen uns ja gegenüber denen trotzdem abgrenzen?! Für Türken reicht ja nun “Türke” – das ist ja das schöne an der deutschen Sprache (und Kultur), dass man auch faktische Bezeichnungen als Derogativ verwenden kann. Haben sogar die Deutschtürken gelernt; die verwenden “Alman” derogativ.

Das waren die Worte meines Nachbarn gerade eben.

Das tut mir auch leid, dass Dein Nachbar ein Idiot ist, Ali.

Vor ein paar Tagen muss sich jemand einen Spaß erlaubt und seinen Briefkasten mit nassen Prospekten gefüllt haben.

Das ist aber halt kein Spaß, Ali. Wieso machst Du sowas?

Ich war es nicht.

Das glaubt Dir nun niemand mehr – du findest das ja auch noch lustig. Ein anständiger Deutscher würde darüber nachdenken, ob das nicht vielleicht nur Schlamperei des miserabel bezahlten Prospektzustellers war und es halt regnete, aber das spricht jetzt nicht unbedingt dagegen, ihn öffentlich auspeitschen zu lassen – bestrafe einen, erziehe Hunderte. Du, Ali, findest es aber lustig. Das ist nicht lustig.

Warum sollte ich so was tun?

Ja weil Du es lustig findest. Sagst Du fucking selber. Liest denn die Texte hier niemand mal auf Logik und Kohärenz durch?!

[blabla] Dann holt er aus und boxt mir auf die Nase. Der Mann ist circa 50 Jahre alt, ich 24. Ich bin mir sicher, dass es schlimm enden könnte, wenn ich meine Wut nicht kontrolliere, und gehe. Er schreit mir hinterher: “Verpisst euch endlich!” Meine Hände sind noch immer feucht von den Prospekten, mein Gesicht schmerzt und ich verpisse mich in meine Wohnung. Mit geballter Faust haue ich in die Küchenwand.

Wir sehen – Ali hat irgendwie ein Aggressionsproblem. Mal abgesehen ist das Körperverletzung. Wir sind hier nicht in der Türkei, wo man sowas übrigens auch nicht “unter Männern ausmacht”, sondern auch da ruft man die Polizei. Warum rufst Du nicht die Polizei, Ali? Weil das alles überhaupt nicht passiert ist?!

Nach der Geschichte mit meinem Nachbarn sitze ich fast eine Stunde in der Küche vor dem Loch, das ich in die Wand geschlagen habe.

Ich vermeide das Verlassen Bayerns ja wirklich, wirklich, so gut es geht, aber ganz ehrlich: Wenn Du das mit einer meiner Wände hier machst, brichst Du Dir bloß die Hand. Das sind keine amerikanischen Trockenbauwände, und Du bist nicht der Terminator. Von wann ist der Artikel? August 2018? Ja, da war der Paulanergarten sicher geöffnet. 

Natürlich erlebe ich solche drastischen Vorfälle nicht jeden Tag. Aber viele schauen mich an, als sei ich eine Gefahr für sie.

In Anbetracht der Tatsache, dass Du es offenbar für eine gute Idee hältst, Ali, mit Deiner Faust gegen eine deutsche Wand zu hauen, bist Du eine Gefahr. Weil (a) aggressiv, (b) offenbar kräftig und (c) nicht ganz dicht.

Wenn ich krank bin, laufe ich eigentlich immer in Jogginghose rum.

Da spricht nicht wirklich was dagegen. Wenn ich krank bin, trage ich einen Pyjama.

Doch jedes Mal weiß ich, dass ich dann noch netter, mein Lächeln noch breiter sein muss.

Also – wir haben jetzt einen kräftig gebauten jungen Mann mit den unkontrollierten Aggressionen, und jetzt grinst er auch noch wie ein Psychopath? Alleine zuhause in seiner Jogginghose? Fairerweise – das macht mir schon etwas Angst.

Sobald ich eine Praxis betrete, wandern die Blicke mancher Arzthelferinnen zu mir. Groß, braun, sportlich und in Jogginghose – Scheiße.

Ja, Meister, und Du wirst ganz, ganz sicher behaupten, das sei Rassismus und nicht etwa der Tatsache geschuldet, dass Du nicht nur ein hochaggressiver Psychopath bist, sondern auch noch mit einer verdammten Jogginghose rumläufst. Ich weiß, die deutsche Sprache ist schwer, aber die heißt “Jogginghose”, weil man sie zum Joggen trägt. Bist Du Joggen? Nein? Du bist beim Arzt. Natürlich guckt dich da die Arzthelferin blöd an. Die trägt ja nun auch einen weißen Kittel, und kein transparentes Latex-Kleid, wie zuhause, ne?! Ist das so schwierig zu verstehen?

Von missbilligend bis verängstigt wurde ich in diesem Outfit schon angesehen.

Ja dann zieh Dir halt wie jeder andere Mensch auch was ordentliches an. Es wird impliziert, Du bist Türke – schau mal in die Türkei und such jemanden, der eine verdammte Jogginghose in der Öffentlichkeit trägt. Sogar die Bettler haben da ordentliche Hosen an, da. Wo sind wir denn hier?! Amerika?!

Ich kann die Entspannung bei meinem Gegenüber sehen, sobald ich anfange, zu reden. Wenn sie merken, dass ich gutes Deutsch spreche und höflich bin. Ihre Blicke sagen mir: “Ah, doch nicht so ein asozialer Araber.”

Der Satz funktioniert sehr viel besser ohne das “Araber”. Wenn Du Dich anziehst wie Cindy aus Marzahn nehmen sinnvoll denkende Menschen nicht an, dass du Nuklearingenieur bist. Wenn Dich das stört: zieh Dir was ordentliches an. Das ist kein Rassismus; das ist Deine Schuld und allein Dein Problem.

Ja, auch Blicke können rassistisch sein, auch Sitzhaltungen können rassistisch sein und sie können verletzen.

Auch Aussagen wie “ach fick Dich doch” können verletzen. Ändert nichts daran, dass Du sie hören wirst, Jammerlappen.

Natürlich weiß ich nicht, was die Leute denken. Ich möchte mir es auch nicht die ganze Zeit vorstellen. Aber ich tue es. Ich muss es sogar.

Das ist geradezu kafkaesk: Der arme Mann weiß nicht, wofür er angeklagt wird, aber er muss es doch wissen. Das ist – brillant. Scheiß auf “Der Prozess”, die Zeit schafft das in einem Artikel!

Manchmal frage ich mich, ob es nicht einfacher wäre, aufzugeben. Ob ich nicht einfach jeden Tag mit Jogginghose rumlaufen und nicht andauernd lächeln sollte.

Joah… dann würdest Du nicht mehr wie ein asozialer Psychopath rüberkommen, sondern nur noch wie ein Asso. Toll. Die Idee, eine ordentliche Hose anzuziehen ist sicher zuviel der Zumutung für niedere Rassen wie Deine, richtig? Weil – dann wären schon all Deine “Probleme” gelöst (Spoiler: nicht).

Ich möchte nicht darüber nachdenken müssen, was ich anziehe und ob mein Bart zu lang geworden ist.

Ey – wenn man schon das Pech hat, mit der Hautfarbe von Osama ibn Laden geboren zu sein, muss man sich dann noch unbedingt einen Terroristenbart wachsen lassen? Kaum jemand unter 60 trägt in der Türkei einen Bart, also erzähl mir da nix von “Kultur”. Das sieht sicher cool und männlich aus – deswegen machen die Terroristen das ja. Sammal. Das ist jetzt echt nicht so schwierig. Vor allem aber isses Alis Entscheidung und damit (wieder) allein seine Schuld.

Es ist ja nicht meine Schuld, dass sie Angst vor mir haben.

Nein? Doch, Ali, ist es schon. Es ist nur Deine Schuld.

Ich möchte einfach akzeptiert werden und stressfrei den Tag überstehen.

Ich auch. Da ist ein psychopathisch grinsender Muskelprotz mit Aggressionsproblemen, der recht offensichtlich ein totaler Asso ist, aber halt nicht sonderlich hilfreich.

Ich möchte unsichtbar sein, wie alle anderen auch.

Sich aber mal zu rasieren, nicht blöd grinsen und eine ordentliche Hose anziehen ist sicher eine rassistische Zumutung, gell?

Ich bin Teil dieser Gesellschaft.

Traurigerweise, ja.

Ich möchte studieren und gut leben.

Tust Du schon.

Das heißt, ich muss mich dem System anpassen.

Nein, das musst Du recht offenbar – und leidernicht. Sonst würdest Du Dir ja mal einen Rasierer und eine ordentliche Hose kaufen.

Ich bin der Erste in meiner Familie, der eine Universität von innen sieht. Wobei: Nicht ganz, meine Eltern haben eine Zeit lang als Putzkräfte in der Uni gearbeitet und mich und meinen Bruder von Zeit zu Zeit mitgenommen.

Och Menno, jetzt hast Du mir den klischee-igen Witz weggenommen. Aber ich glaube das nicht; die Gastarbeiter aus der Türkei kamen nicht zum Putzen.

Jedes Mal sagte meine Mutter zu uns: “Später werdet ihr hier studieren”, und sie hat recht behalten. Ich erwarte aber von niemandem, dass er mir auf die Schulter klopft oder mich lobt.

Ja wofür denn auch? “Herzlichen Glückwunsch, Du hast eines der (immer noch) besten Bildungssysteme auf diesem Planeten nicht ignoriert???” – Ey, wenn Du Dich jetzt noch rasierst und mal vielleicht einen Anzug trägst, kommst Du vielleicht sogar in den Vorstand von Siemens. Also – Du nicht, falsches Geschlecht & Frauenquote, aber theoretisch, wenigstens.

Aber manche Kommilitonen schauen mich an, als würden sie denken: “Was macht der denn bitte hier?”

Der Asso in der Jogginghose, der grinst wie ein Psychopath? WIESO WUNDERT DICH DAS?

Was mir an der Universität aufgefallen ist: dass ich vor allem zu weißen Frauen besonders nett sein muss – ob es meine Kommilitoninnen sind, Dozentinnen oder Mitarbeiterinnen im Prüfungsamt.

Jaja, das hier ist ein antifeministisches Blog; das sind alles Fotzen. Geschenkt. Hat halt nix mit Rassismus zu tun.

Vor rund drei Monaten war ich so naiv und habe mich einfach auf einen Platz neben eine Kommilitonin gesetzt.

Das war halt jetzt nicht naiv, das war schlicht unhöflich. Wir sind in Deutschland, da fragt man, ob da noch frei ist, auch wenn das noch so offensichtlich ist. Wo hast Du denn Etikette gelernt, Ali? Hier offenbar nicht, und in der Türkei sicher auch nicht, da setzt man sich nicht neben wildfremde Frauen.

Wir hatten einen kurzen Blickwechsel. Und sie hatte Panik in den Augen. “Keine Sorge, ich werde dich schon nicht angrapschen!”, will ich brüllen, aber ich lächle.

Aaaaalso… nehmen wir mal an, ich setze mich neben eine wildfremde Frau an der Uni, ohne pseudo-höflich zu fragen, ob der Platz noch frei ist. Und dann grinse ich sie blöd an, während ich sie in Gedanken ausziehe (Ali ist auch ein Mann). Wie kommt das bei der Frau wohl an? Sie läuft schreiend weg?

Sie packt ihre Sachen und steht sofort auf.

Das ist dann wohl positiver Rassimus. Sie schrie immerhin nicht.

Ich drehe mich wieder nach vorne und versuche, zu begreifen, woran es heute gelegen haben könnte. Ich habe eine Jeans, weiße Sneaker und ein weißes T-Shirt an, eine Baseball-Cap auf dem Kopf

Ja – woran könnte es wohl gelegen haben, Ali? An deinem Terroristenbart – ich meine, die Jogginghose war es ja nun nicht, aber, nur so als kleiner Hinweis: Das ist ein Hörsaal. Ein Hörsaal ist kein Rap-Konzert – und v.a. stehst Du nicht auf der Bühne. Könnte es sein, dass man in geschlossenen Räumen keinen Hut trägt – geschweige denn ein Baseball-Cap? Könnte es sein, dass das ist wie mit den Jogginghosen, das mit den Baseball-Caps? Wieso nimmst Du nicht auch noch gleich einen Baseballschläger mit? Oder eine Kettensäge? Nein? Doch?

Wieder merke ich, dass ich die Schuld bei mir suche.

Ja, da merkt man den angehenden Ingenieur.

Doch verdammt noch mal, es ist nicht meine Schuld. Ich habe ja nichts getan.

… sondern Allah. Allah hat Dir gesagt, dass Du Dir einen Bart wachsen lassen und ein Baseball-Cap aufsetzen sollst?

Vor Kurzem wollte ich einer älteren Dame mit ihren Einkäufen helfen. Ich kam gerade aus dem Fitnessstudio. Die Bahn fährt ein, ich sehe, wie sie Schwierigkeiten hat, ihre Taschen zu tragen und packe reflexartig nach den Tüten, um ihr zu helfen.

Kommunikation, wie wir sehen, ist total überbewertet. “Kann ich Ihnen helfen” – “ne, verpiss dich, du blöder dreckskanacke” M-hm — Ah – Moment – er hat nicht gefragt.

“Ich wollte Ihnen nur helfen”, antworte ich.

Bissi spät, das mit der Kommunikation. Würde ein Dieb auch sagen, wenn er erwischt wird.

“Lass mich in Ruhe und hau ab, Paselacke!”, schreit sie wieder.

“Paselacke” ist das kölnische Singular von “Gesocks”. Praktisch, die rheinische Sprache.

Ich spüre, wie mein Herz rast und wie ich mit den Tränen zu kämpfen habe, und blicke starr aus dem Fenster.

Eigentlich hat er ein Fenster der U-Bahn einzuschlagen versucht; die gehen sogar kaputt, wenn man einen Ring trägt oder so. Das schreiben wir aber mal nicht hin.

Meine Hand und meine Nase tun weh. Ich habe das Seminar verpasst. Also schreibe ich dem Dozenten eine Mail. Ich will ihm sagen, dass ich um neun Uhr morgens von einem Rassisten geboxt wurde. Und dass mich das so stark mitgenommen hat, dass ich jetzt hier sitze und mich nicht bewegen kann.

Immer noch: Das sagt man aber nicht seinem Dozenten, das sagt man der Polizei. Warum aber sagt man das überhaupt seinem Dozenten? Sind wir jetzt im völlig verblödeten Amerika? Haben Dozenten nicht was besseres zu tun, als Paulanergarten-Geschichten von asozialen Studenten zu hören?

Aber das tue ich nicht. Ich bitte ihn, mich zu entschuldigen.

Joah – und wenn die Geschichte denn so passiert ist, was ähnlich realistisch ist wie dass ein Zug auf Gleis neundreiviertel mal pünktlich kommt, dann entschuldigt der Dozent das selbstverständlich nicht, wenn da Anwesenheitspflicht ist. Ali fällt hier also durch, fliegt von der Uni, und muss sein restliches Leben so leben, wie er eh aussieht.

Und spiele wieder den netten Kanaken.

Siehste? Du weißt selber, dass Du nicht nett bist; du musst das spielen. Die alte Dame mit den Tüten hat da genug Lebenserfahrung, in Dein Innerstes zu sehen und zu erkennen, was Du bist: niederstes Gesocks. Wie rassistisch.

2 Replies to “Deutschsein für Anfänger”

  1. Es gibt eine Menge junger Männer, die mit gepflegten Hipsterbärten rumlaufen. Sieht extrem anders aus als Osama. Die würden aber noch nichtmal zum Joggen Jogginghosen tragen. Die würden sich nichtmal in Jogginghosen beerdigen lassen.

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